So beugen Frauen Knieverletzungen vor
Frauenknie sind empfindlicher als Männerknie. Das vordere Kreuzband reißt schneller, Arthrose und Brüche kommen häufiger vor. Wie Sie Verletzungen vermeiden können
Über Stock und Stein: Im Lauf des Lebens werden die Kniegelenke oft gefordert
Beim Knie gibt es keine Gleichberechtigung, Frauen haben dort mehr Schwachstellen als Männer. In jungen Jahren kann der schmalere Gelenkaufbau Probleme machen, später verschleißen Knorpel und Knochen schneller. "Frauen sollten deswegen intensiv vorbeugen", rät Dr. Johannes Flechtenmacher, der Präsident des Berufsverbands für Orthopädie und Unfallchirurgie.
Kicken geht aufs Kreuzband
Wie empfindlich das Frauen- im Vergleich zum Männerknie ist, zeigt etwa eine US-Untersuchung mit Teenagern. Die Wissenschaftler stellten fest, dass sich Mädchen bei Ballsportarten das vordere Kreuzband zwei- bis dreimal häufiger verletzen als Jungen.
Der Grund: In ihren Knien ist einfach weniger Platz dafür. Orthopäden sprechen von einer schmaleren "Notch". So nennen sie den Bereich zwischen den beiden Gelenkknorren des Oberschenkelknochens, in dem das vordere Kreuzband ansetzt. "Das vordere Kreuzband kommt daher eher mit den Knochen in Kontakt und kann schneller reißen", erklärt Professorin Andrea Meurer, stellvertretende Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU).
Vor allem Sportarten wie Handball und Fußball, bei denen schnelles Anlaufen und abruptes Stoppen notwendig sind, sowie Skifahren bedeuten daher ein erhöhtes Risiko.
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Tendenz zu X-Beinen
Und die typisch weibliche Anatomie des Knies kann weitere gesundheitliche Probleme nach sich ziehen. Etwa leichte X-Beine, also nach innen abweichende Kniegelenke. "Diese Achsabweichung und das dadurch entstehende muskuläre Ungleichgewicht begünstigen den Gelenkverschleiß und das Risiko für Sportverletzungen", sagt Katrin Hilpert, Leiterin der medizinischen Therapie der Orthopädie, physikalischen Medizin und Rehabilitation am Uniklinikum München.
Sportlich aktiven Frauen empfiehlt sie ein stabilisierendes Beinachsentraining. Es reduziert die Belastung für die Knie bei Sprüngen, Sprints und Stopps.
Lieber auf dem Boden bleiben
Im Allgemeinen sind bei Frauen die Muskeln, Sehnen und Bänder dehnbarer als bei Männern. Der Grund: die weiblichen Hormone. "Wenn man beim Sport aus hohem Abstand springt und landet, wirken vermehrte Kräfte", erläutert Meurer. Gleichzeitig haben Frauen oft weniger starke Muskeln, die dem Kniegelenk zusätzliche Stabilität geben würden. "Ein Unfall ist damit wahrscheinlicher", so die Orthopädin.
Das Kniegelenk schützen: Sieben Tipps
Muskeln aufbauen
Mit gezielten Übungen zur Stärkung der Muskulatur bekommt das Knie mehr Stabilität. Kräftige Muskeln verbessern die Gelenkführung und verhindern so Verletzungen wie Bänderrisse und kleine Blutergüsse, die später zu Knorpelschäden und Arthrose führen können. Die Knochendichte wird durch Muskeltraining ebenfalls gefördert. "Durch den Zug des Muskels wird auch der Knochen beansprucht und baut dadurch mehr Masse auf", sagt Professorin Andrea Meurer. Untrainierte sollten sich vor allem auf größere Belastungen, wie zum Beispiel einen Skiurlaub oder lange Wanderungen mit steilen Abstiegen, unbedingt mit Kniegymnastik vorbereiten.
In Bewegung bleiben
Durch regelmäßige moderate Bewegung wird der Knorpel im Knie gestärkt. "Er ernährt sich aus der Gelenkflüssigkeit. Bewegung fördert diesen Vorgang", sagt Orthopäde Manfred Neubert. Auch Patientinnen, die bereits unter Arthrose leiden, können auf diese Weise ihre Schmerzen verringern. Empfehlenswert sind Nordic Walking, Wandern in nicht zu steilem Gelände, Radfahren und Schwimmen (bei Vorerkrankungen lieber Kraulen statt Brustschwimmen). Joggen dagegen fordert das Knie stark. "Dabei lastet das mehrfache Körpergewicht auf den Gelenkflächen", erklärt Neubert. Wer bereits mit Knieproblemen zu kämpfen hat, sollte eventuell darauf verzichten.
Die Koordination verbessern
Mit Übungen auf wackeligem Untergrund kann das Zusammenspiel von Nervensystem, Muskeln und Gelenken gefördert werden. Das Gehirn ruft Bewegungsabläufe schneller ab. "Dadurch kontrolliert man seine Bewegungen besser, weil der Körper automatisch reagiert", so Orthopäde Flechtenmacher. Das Sturzrisiko wird vermindert, und die Gelenke werden besser vor Verletzungen und Verschleiß geschützt. Physiotherapeutin Hilpert: "Ohne Koordination nützen die stärksten Muskeln nichts."
Den Knochenaufbau fördern
Für die Knochengesundheit sind Kalzium und Vitamin D wichtig. Besonders viel Kalzium steckt etwa in Hartkäse, Brokkoli, Feldsalat, Fenchel und Grünkohl. Vitamin D liefert fetter Seefisch wie Lachs und Hering. Vor allem aber wird Vitamin D bei Sonneneinstrahlung in der Haut gebildet. Experten empfehlen deshalb, im Winter eventuell zusätzlich Vitamin D als Nahrungsergänzungsmittel einzunehmen. Es steigert die Aufnahme von Kalzium in den Knochen. Achtung: Magersucht, Bulimie und andere Ernährungsdefizite in jungen Jahren können sich negativ auf die Knochen auswirken. Meurer: "Betroffene Frauen bauen dann weniger Knochenmasse auf und haben eine schlechtere Ausgangsposition, wenn der altersbedingte Abbau beginnt."
Übergewicht vermeiden
Zu viele Kilos sind Gift für die Knie. Vor allem der Knorpel, der im Gelenk als Stoßdämpfer dient, leidet darunter.
Den meisten Frauen sei nicht bewusst, wie sehr sie ihren Knien durch Übergewicht schaden, meint Flechtenmacher. "Wenn eine junge Frau 120 Kilo wiegt, ist die Arthrose im Knie programmiert."
Im Alltag die Knie schonen
Schlecht sind Positionen, bei denen die Knie stark gepresst werden – wie etwa ein extremer Schneidersitz. "Damit machen wir Druck auf den inneren Gelenkspalt und damit auf den Meniskus", so Expertin Meurer. Auch länger knien und in die Hocke gehen sind nicht gut. Dadurch wird die Kniescheibe gegen den Oberschenkel gedrückt, der Knochen wird stark belastet, der Knorpel leidet.
Fehlstellungen operieren lassen
Wer extreme X- oder O-Beine hat, muss eher mit Arthrose rechnen. Der einseitige Druck belastet den Knorpel besonders. "Das Knie ist für eine gleichmäßige Lastenverteilung konzipiert", sagt Meurer. Eine starke Ungleichheit sollte eventuell durch eine OP korrigiert werden.
Doch Frauen hopsen nicht nur mit ihren Kindern auf den derzeit so beliebten Trampolins. Zunehmend mehr Frauen treiben regelmäßig Sport. Und das scheint sich in den Verletzungsstatistiken niederzuschlagen, etwa in einer aktuellen Untersuchung des Berufsverbands für Orthopädie und Unfallchirurgie in Zusammenarbeit mit der AOK Baden-Württemberg. Im Zeitraum 2008 bis 2013 stieg dort die Zahl der Bandverletzungen am Knie bei den Frauen um knapp 20 Prozent – und damit doppelt so stark wie bei den Männern, die aber trotzdem die Statistik anführen.
Knochen brechen ab 50 viel leichter
Die Analyse der Daten von 3,8 Millionen Versicherten macht noch einen weiteren Unterschied deutlich: Knochenbrüche im Kniebereich kommen zwar bei Männern und Frauen etwa gleich häufig vor, doch das Risiko nimmt bei Frauen ab dem 50. Lebensjahr stark zu – um das Siebenfache. "Das liegt vor allem an ihrer niedrigeren Knochendichte", erklärt Experte Flechtenmacher. "Wegen des Östrogenmangels nach der Menopause sind Frauen hier im Nachteil. Sie bekommen eher Osteoporose." Die Folge: Bei Stürzen brechen die Knochen leichter.
Außerdem wird der Knorpel im Knie bei ihnen schneller abgebaut als bei den Männern. Laut einer Studie amerikanischer Wissenschaftler viermal so schnell. Angaben des Robert-Koch-Instituts untermauern das Forschungsergebnis aus den USA. In Deutschland sind gut die Hälfte der Frauen über 65 von Verschleißerscheinungen im Knie betroffen. Bei den Männern im selben Alter ist es lediglich rund ein Drittel.
Mehr künstliche Kniegelenke für Frauen
Deshalb brauchen auch mehr Frauen als Männer künstliche Kniegelenke. Dem Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen zufolge sind knapp 63 Prozent der Operierten weiblich. Mit dem Ergebnis des Eingriffs sind Patientinnen aber oft unzufriedener als Patienten.
"Sie benötigen nach einer Knieprothesen-OP mehr Schmerzmittel, ihre Beweglichkeit und ihr Gehvermögen sind schlechter", sagt Orthopäde Dr. Manfred Neubert, Präsident des letzten Deutschen Kongresses für Orthopädie und Unfallchirurgie. Die Ursachen dafür sind weitgehend unklar.
Probleme mit Prothesen
Vor etwa zehn Jahren wurde eine spezielle Knie-Endoprothese für Frauen eingeführt. Dieses "Gender-Knee" sollte der Anatomie des Frauenknies Rechnung tragen – erzielte aber keine besseren Behandlungsergebnisse. Möglicherweise spielt auch das Arzt-Patienten-Verhältnis eine Rolle. "Eine kanadische Untersuchung zeigt, dass Ärzte Männern häufiger zu einer OP raten", sagt Neubert. Bei Frauen ist also möglicherweise der Verschleiß schon weiter fortgeschritten, wenn sie operiert werden.
Alles keine Gründe, weshalb sie nun die Männer um ihre stabilen Gelenke beneiden müssten. Aber alles gute Gründe, um besonders auf die Knie zu achten.